Montag, kalter Wind mit Sonnenschein, Hoffnung auf Lockerung des dritten Lockdowns, Frühlingsvögel im Innenhof.
Mir gegenüber: leicht verzweifelte Augen, Ungeduld und die Hoffnung auf den erlösenden Anruf.
„Ich wünsche mir nichts mehr, als dass der Direktor endlich anruft und mir einen Platz in der neuen Schule zusagt. Ich will unbedingt wechseln. Davon hängt mein Glück ab.“
„Okay, verstehe. Erklär mir mal: Was genau wäre denn das ganz furchtbar Schlimme, wenn du in der jetzigen Schule bleiben müsstest?“
Leichtes Herumwetzen am Stuhl, schnaufen, der Versuch, die passenden Worte zu finden umrahmt von einem bezaubernden Lichtspiel der Wintersonne im Altbaugebäude.
„Naja…. ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll. Es fällt mir nichts Besseres ein als: ‚Ich möchte nicht, dass irgendjemand machen kann, dass ich mich so fühle wie früher.‘“
Früher - die ersten fünf Jahre ihrer Gymnasiumszeit war Helene ein schüchternes Mäuschen. Klug, klein und am Liebsten unsichtbar. Ruhig und immer am Rande einer Gruppe. Das klassische introvertierte Mädchen also.
Während der vielen Monate des Distancelearnings passierte eine wunderbare Wandlung. In dieser Zeit hat sich der Kontakt zu einer Freundin intensiviert, die offenbar eine neue Seite in Helene aktiviert hat. Sie wirkt jetzt selbstsicher, zeigt ihre witzige Seite, strahlt ein neues Selbstbewusstsein aus und scheint um gefühlt zwei Köpfe gewachsen zu sein.
Diese Freundin geht in jene Schule, in die Helene, um alles in der Welt, wechseln möchte.
Nun bin ich einige Jahre älter als dieses sympathische Mädchen und kenne jene Momente, in denen ich der Überzeugung war, mein ganzes Leben hinge vom gewünschten Ausgang einer Angelegenheit ab. Gefühlt hing mein Glück mindestens schon hunderte Male am seidenen Faden!
Und nicht selten ist dieser dann auch gerissen. Platsch.
Ich weiß also, wovon ich spreche, wenn ich sage: „Helene, ich weiß absolut, was du meinst. Und ich finde, du hast das perfekt ausgedrückt.“
Nachdem sie mir erzählt, dass sie das Gefühl hat, sich nicht weiterentwickeln zu können - und meint: „in meiner jetzigen Schule kennen sie mich, seit ich 10 bin. Und so wie ich damals war, bin ich doch überhaupt nicht mehr“, gebe ich ihr Folgendes mit auf den Weg:
„Weißt du, ich verstehe allzugut, dass du in eine neue Umgebung möchtest. Als das neue Mädchen, das du in den letzten Monaten in dir entdeckt hast und als das du dich offensichtlich sehr wohl fühlst. Auch die Unzufriedenheit mit der Arbeitsweise einiger Professoren deiner Klasse verstärkt diesen Wunsch. Aber: Bitte mach dein Glück nicht davon abhängig, ob der Wechsel klappt oder nicht."
Ich ermutige Helene, sich den Beweggrund für ihren Wunsch noch einmal genau anzusehen:
sie möchte, dass niemand mehr „machen kann“, dass sie sich so fühlt, wie früher.
Deshalb mache ich ihr eine neue Sichtweise schmackhaft:
- "Bemerkst du, dass du mit diesem Wunsch die Macht über dein Wohlergehen an deine Mitschüler und deine Lehrer abgibst?
- Nimm doch besser eine andere Position ein. Entscheide dich dafür, das jetzige gute Gefühl in dir zu beschützen. Setze dich, bildlich gesprochen, als Wächterin in die Mitte deines guten Gefühls.
- Du bist dafür verantwortlich, dass es „groß“ bleibt. Wenn nötig, „drehe“ es, wie mit einem Lautstärkeregler, noch größer.
- Interpretiere das Verhalten der anderen nicht. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sie sich gar keine speziellen Gedanken über dich machen.
- Fühle dich auf alle Fälle nicht verpflichtet, deine neue Ausstrahlung zu erklären.
- Also lass jetzt deine Angst los, dass der Schulwechsel nicht klappen könnte. Jetzt gleich! Denn auch, wenn dein Wunsch nicht in Erfüllung gehen sollte, weißt du, wie du für deinen gewünschten inneren Zustand sorgen kannst. Das ist zugegeben mehr Arbeit, als in einer neuen Umgebung von vorne anzufangen. Aber du bist und bleibst die Chefin deiner Energie! Immer und überall. Und Punkt.“
Sollte also dein seidener Faden reißen, atme während des freien Falles einfach weiter. Wenn du am harten Boden der Tatsachen angekommen bist, schüttle dich ab, übernimm Verantwortung für deine innere Energie und behüte sie wie eine Löwin.
Sei offen für alles, was dann passiert. Erwarte auf jeden Fall das Beste und wisse, dass - wer immer nur mit Weichspüler gewaschen wird, am Ende ein Weichei ohne geschliffenen Charakter bleibt.
Von daher - egal ober jetzt oder später - dein Glück hängt niemals am seidenen Faden der Entscheidung anderer Leute. Dein Glück hängt von der Löwin in dir ab.
PS: Weißt du, was das Feine an der ganzen Sache ist?
Je glücklicher du unabhängig von den äußeren Umständen sein kannst, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Außen genau jene Dinge geschehen, die dich erfreuen.
Sagt zumindest das Gesetz der Anziehung.
Aber das ist eine andere Geschichte."
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